Montag, 22. August 2016

Auf Erkundungstour


Lange ist es nicht mehr hin, dann bin ich schon drei Wochen in Lateinamerika. Noch immer passieren mir Sachen, die wie ein mentales Signalschild auf mich deuten und rufen: Du bist keine Argentinierin. So passierte es mir am Mittwoch, dass ich zur Mittagszeit verdutzt vor den verschlossenen Türen eines Sportgeschäfts stand, welches erst nach 16 Uhr wieder aufmachte (und das nachdem ich sonst wie weit zu Fuß dahin marschiert bin, weil sich mir das Busnetz immer noch nicht erschlossen hat). Doch obwohl es ununterbrochen neue Eindrücke gibt, die auf mich einprasseln, lebe ich mich langsam ein.

So überraschte mich es auch nicht mehr, dass wir eineinhalb Stunden auf einen Bus warten mussten und ich habe mir eine gewisse Geduld antrainiert. Man sollte es nicht annehmen, doch sind die Leute in der Uni ziemlich pünktlich. Das uns in Deutschland bekannte akademische Viertel später auftauchen gibt es nicht. So kam es nicht selten vor, dass ich eine der letzten war, die auftauchten und den Anfang der Vorlesung verpasste. 
Das vorletzte Wochenende, welches Montag einen Feiertag des hoch angesehenen San Martín miteinschloss, war geschmückt mit vielen interessanten Ereignissen.


Am Sonntag zog es uns auf ein kulinarisches Fest namens „Semilla“. Es gab diverse Stände mit verschiedensten Lebensmitteln (oft auch mit Kostproben- was mich besonders glücklich stimmte) und mehrere Life-Kochshows, bei denen das Publikum im Anschluss probieren konnte. Meine Augen konnten sich kaum satt sehen. Für mich war das echt ein tolles Erlebnis. Während wir dort waren, führte ich auch ein Gespräch mit der Eventmanagerin, die mir anbot, dass ich insofern ich mich für Feste wie diese begeistere mich sogar an der Planung des nächsten Events beteiligen könnte. Mal schauen, ob ich Zeit dafür finde.






Ein Suchbild: Wo sind wir?





Während Lore und ich letzten Montag auf einen Bus warten mussten, verwickelte uns eine Mapuche-Frau (Mapuche= lit. übersetzt Menschen der Erde; ein indigenes Volk) in ein Gespräch, in dem wir einiges über die tragische Situation der ehemaligen Bewohner Patagoniens erfuhren. So wurden die Mapuche Ende des 19. Jahrhunderts in einem Wüstenfeldzug von General Julio Roca, der sogenannten „conquista del desierto“, gnadenlos abgeschlachtet und aus ihren Gebieten vertrieben. Aus diesem Grund sind die Städte in den Gebieten Neuquén, Río Negro, etc. noch relativ jung. Die Meinungen zu der „Annexion Patagoniens“ (ein extremer Euphemismus) sind gespalten. In vielen geschichtlichen Texten wird das Thema zwar angeschnitten, aber kein großer Fokus auf die indigene Bevölkerung gelegt.

Wunderschöne Gravierungen in Mate-Bechern auf dem Kunstmarkt

Unser Ausflug führte uns in die Nachbarstadt Cipolletti, wo wir einen Kunstmarkt besuchten. Hier kaufte ich mir einen Behälter zum Mate-Trinken (ein Gefäß, welches aus einem ausgehölten Flaschenkürbis hergestellt wird), auf dem extra für mich „Argentinia“ eingraviert wurde. 

Grafiti an einer Wand in Cipolletti


Wie die Sardinen in der Dose - im Bus auf der Rückfahrt nach NQN

Direkt im Anschluss, als wir nach Neuquén zurückkehrten, wurden wir Zeugen eines Weltrekordversuchs. Bei einem Straßenfest, das nicht nur Lifemusik, Motorräder, getunete Autos, Bands und Kampfsportaufführungen zu bieten hatte, sollten 90m an Torten sollten nebeneinander aufgestellt werden. Anschließend wurden diese teilweise verkauft, um Spenden für eine Organisation für Kinder zu sammeln. Ich hatte das Glück, dass ich die gleiche Torte im Blick hatte, wie ein anderes Mädel, was dieses auch schnell feststellte, als sie mich fragte, welche von den Torten ich mir denn ausgesucht hätte. Das Resultat war, dass sie die gesamte Torte, mit dem Ziel sie an die Mitglieder ihrer NGO-Gruppe zu verteilen, kaufte. Die Gruppe war überaus freundlich, und gaben mir ein riesengroßes Stück ab, als sie meinen traurigen Blick sahen, mit dem ich die vor meinen Augen weggekaufte Torte verfolgte. Sie machten sogar ein Foto, wie ich da glücklich mit meinem Stück bei ihnen stand. Was für ein wohltätiges Handeln!








Unter der Woche hatte ich verhältnismäßig wenig Stress, da Montag Feiertag war und Donnerstag mein regulär unifreier Tag ist. Dies ermöglichte es mir, mich voll und ganz darauf zu konzentrieren Sportkurse zu belegen. So gehe ich jetzt zum Kickboxen, Volleyball und zweimal die Woche schwimmen. Am Freitagmorgen wurde für uns (damit meine ich mich und die anderen ausländischen Studenten) ein Willkommenstreffen der Uni veranstaltet. Da wir nur insgesamt 3 (eine Brasilianerin, ein Spanier und ich) waren, war das alles sehr persönlich und in einer gemütlich entspannten Runde. Wir bekamen sogar ein kleines Willkommenspaket, darunter auch ein T-Shirt mit dem Uni-Logo. Leute, die gerade aus dem Ausland wiederkamen präsentierten ihre Erlebnisse und berichteten von ihren Erfahrungen. Mir war es dann total peinlich mich in einem Interview vorstellen zu müssen (und das, obwohl ich noch nicht davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass das mitsamt Fotos am nächsten Tag in der Zeitung landen würde…). Davor dachte ich mir noch, als ich nichtsahnend den Raum mit der Kamera betrat, dass es total freundlich von Helios (der spanische Austauschstudent) war, dass er von seinem Stuhl aufsprang und ihn mir anbot. Misstrauisch wurde ich erst, als er die Beine in die Hand nahm und blitzschnell aus dem Raum verschwand, um mich dem Schicksal zu überlassen, das ihn sonst ereilt hätte.

Am See Pelligrini - Cinco Saltos

Meine Suche nach neuen Freunden war auch nicht erfolglos, denn ich habe dieses Wochenende viel mit neuen Leuten gemacht. Ein Kommilitone lud mich zum Haus am See „Pelligrini“ ein, wo wir die eindrucksvolle Landschaft zu Fuß erkundeten. Der See erinnerte mich ziemlich an die Ostsee (wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es der See an sich war, oder die kühlen Temperaturen) und ich fühlte mich wie zu Hause.


Was mich jedoch erschütterte, waren die Müllberge, die auf der Strecke zum Fluss in mein Blickfeld traten. Wie kann es sein, dass Leute mit ihren Autos in die Steppe fahren und unkontrolliert ihren Müll abladen? Es ist eine Schande, dass die Regierung nichts dagegen unternimmt. Immer mehr ärgert es mich, wie die Menschen die Natur zerstören: Zum einen das Fracking, zum anderen das Müllproblem… Doch ist das nicht das einzige, was nicht ordentlich funktioniert.


Als wir durch die Bardas (so nennt sich die Hügellandschaft, die sich in der Nähe meines Hauses befindet) schlenderten und uns unterhielten, begleitete uns ein herrenloser Hund, den ich am liebsten adoptiert hätte, aber leider darf ich keine Haustiere halten. Ein interessantes Gespräch informierte mich über die Zustände in Gefängnissen und Arbeit bei der Polizei, was hier anscheinend ein Beruf ist, bei dem man ziemlich gut verdient. Ich erfuhr, dass es nicht nur in Buenos Aires extra Abteile in Gefängnissen für Schwule gibt; dass sich einige Insassen versuchen umzubringen, indem sie ihre Matratze in Brand stecken und die Aufseher trotz versuchter Rettung selbst im Gefängnis landen; dass über nicht bestandene Aufnahmetests kulant hinweggesehen wird, wenn man genug Kontakte hat und und und…

Am Nachmittag wollte ich zusammen mit Jessica, der brasilianischen Austauschstudentin und ihren Freunden an den Fluss gehen und Mate trinken. Nachdem wir am Fluss entlang spazierten und uns niederließen, stellten wir fest, dass wir das Trinkröhrchen und den Becher vergessen hatten, sodass wir das Mate-Trinken in ihr Haus verschoben. Da gab es dann sogar Facturas (Blätterteiggebäck) und verbrachten den Abend bei ihr. Mein Repertoire an spanischen und portugiesischen Liedern steigt stetig an. Jessica lehrte uns sogar Samba zu tanzen, bzw. versuchte sie es. 

Vor meiner Fakultät - The spring is coming!
Es ist ziemlich witzig argentinische Frauen über argentinische Männer sprechen zu hören und anders herum. Es wird oft behauptet, dass argentinische Männer „chamullero“ sind, was heißen soll, dass sie den Frauen das Blaue vom Himmel herunter reden. Ich nehme an, dass das stimmt, wenn ich mir anschaue, wie viele Geschichten ich inzwischen gehört habe, von Männern, die abgehauen sind oder alleinerziehenden Müttern. Den Gesprächen konnte ich entnehmen, dass es in der hiesigen Gesellschaft gar nicht geduldet wird, wenn frau in einer Beziehung ist, sich mit Freunden des anderen Geschlechts trifft. Wohingegen es von anderen Männern eher anerkannt wird, wenn ein Mann vergeben ist und sich mit andern Frauen trifft. Mir persönlich ist aufgefallen, dass Männer hier viel respektvoller mit Frauen umgehen. So geschieht es zum Beispiel selten, dass ein Mann vor der Frau einen Raum betritt. Hier ist es normal, dass man zum Essen eingeladen wird, oder ohne Aufforderung bis zur Haustür begleitet wird, auch wenn das bedeutet, dass sie einen größeren Umweg auf sich nehmen müssen.


Gott sei Dank habe ich Literatura hispanoamericana belegt! Da überwiegt der Frauenanteil, sodass ich heute auch endlich mal mit Mädels in meinem Alter in Kontakt kam. Gleich wurde ich zum gemeinsamen Kochen eingeladen und zum abends einen Trinken gehen. Ich bin mal gespannt, wie viel davon tatsächlich ernst gemeint ist. Manchmal wird vorgeschlagen, dass man was zusammen machen könnte, was dann aber doch nicht verbindlich ist. Wenn das so weiter geht, dann habe ich gar keine Zeit mehr, was für die Uni zu erledigen…


Samstag, 13. August 2016

Die erste Woche in der Uni

Das ging so schnell, sag ich dir! Während der ersten Woche nahm die Zeit in Neuquén für mich andere Dimensionen an und ehe ich mich versah, war sie rum. Die erste Woche in der UNCo (Universidad Nacional del Comahue) habe ich gut überstanden. Alle Leute, die ich bisher kennengelernt habe, waren freundlich und hilfsbereit.


Als hätte ich es mir nicht vorher denken können, ist man mit deutscher Pünktlichkeit viel zu früh dran. Zumindest war es so, als ich am Montag zum ersten Mal in die Uni ging. So wurde ich von einem Wartezimmer ins nächste umquartiert und ich musste viel hin- und herrennen, um mir die Modulbeschreibungen zu besorgen, damit ich noch rechtzeitig rausfinden konnte, welche Kurse anerkannt werden können. Schmunzelnd erinnere ich mich an Dienstag zurück, als ich mir erneut Stress machte, dass ich zur ausgemachten Zeit in der Uni zur Führung der ausländischen Studenten auftauche. Auf dem Weg zur Uni hat Lore, meine zweite Mitbewohnerin versucht, mich zu beruhigen und gesagt, dass ich bestimmt trotzdem (mit ca. 10 Minuten Verspätung) noch eher da sein würde, als die anderen. Letztendlich war ich nicht nur pünktlicher, sondern anscheinend auch die Einzige und von den 3 anderen Studenten lernte ich nur einen am Donnerstag kennen. Am gleichen Tag hatte ich dann zum Glück Rückmeldung von allen Professoren, die mir die Credits in Deutschland anerkennen würden und konnte dadurch endlich meinen finalen Stundenplan zusammenstellen. Obwohl ich nur 3 Module belege, habe ich 20 Wochenstunden (im Vergleich zu Deutschland, wo man pro Modul nur 2-4 Wochenstunden hat, ist das eine Menge). Addiert man die Stunden, die ich mir für die Sportkurse vorbehalten habe, dazu, werde ich wohl ziemlich ausgelastet sein.


Wenn ich an die vergangene Woche zurückdenke, dann habe ich eigentlich nicht viele Dinge erreicht, bin aber sehr viel gelaufen, unter anderem, weil ich es erst am Donnerstag schaffte, mir die SUBE-Karte für die hiesigen Busse zu beschaffen. Kein Wunder, dass ich seit Dienstag von Muskelkater geplagt werde. Relativ erfolgreich war ich allerdings damit, mir eine SIM-Karte zu kaufen. Was in Deutschland bekannte Namen wie Telekom, O2 oder Vodafone sind, ist hier Movistar. Als ich in eine der Filialen trat, herrschte Stille: Alle warteten, zwei der Verkäuferinnen waren in ihre Computer vertieft. Nachdem ich einen kurzen, verunsicherten Blick über die ungewohnt schweigsame Szene schweifen lies, lief ich zu einem der Schalter und fragte, ob ich hier eine Telefonkarte kaufen könnte. Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich ein Warteticket ziehen müsse. Was mich dort noch erstaunte, wurde während meiner vielen Erledigungs-Streifzüge zur Gewohnheit: Überall, egal ob beim Bürgeramt, dem Bankschalter (dem ich die letzte Woche fünf Besuche abstatten musste, bis halbwegs das gewünschte Ergebnis erzielte) oder beim Bäcker, musste man ein nummeriertes Zettelchen vorzeigen, bevor man bedient wurde. Erwähnenswert finde ich an dieser Stelle die Bevorzugung von Europäern in Ämtern. Zusammen mit Helios, dem Studenten aus Spanien, ging ich ins ANSES (sowas wie ein Bürgeramt), wo ich schockiert über die wartenden Menschenmassen war. Schon um ca. 9 Uhr war die Kapazität für den gesamten Tag ausgelastet. Doch für uns als Europäer wurde da einfach mal eine Ausnahme gemacht und anstelle einer 118, erschien nach der 117 eine 204 und eine 205 (unsere Nummern), die auf dem Bildschirm für die Zahlen, die zunächst bedient werden sollten. Als sich jemand am Schalter erkundigte, wurde ihm nur mitgeteilt, dass die Zahl 205 Priorität hätten und er mich doch an sich vorbeilassen sollte, weil das sonst unhöflich wäre. Erschreckend, oder? Zugegeben: Meine Erfahrung ist kein repräsentatives Beispiel und könnte auch nur ein Ausnahmefall gewesen sein, doch hätte ich mir vorher nicht vorstellen können, dass solch ein Ungleichgewicht in der Behandlung von Menschen existiert.



Das sollte nicht das einzige bleiben, was mich überraschen sollte. So hätte ich zum Beispiel ohne Hilfe meiner Mitbewohnerin vergeblich nach Bushaltestellen oder gar Fahrplänen suchen können. Man kann sich eigentlich schon darauf verlassen, dass irgendwann ein Bus kommt, wenn es nicht gerade nach 11 Uhr nachts ist. Falls er einen dann auch noch ans Ziel bringt, dann ist das eher ein Glücksfall; zumindest dann, wenn man sich vorher nicht bei Einheimischen erkundigt hat. Genauso wenig, wie es Verkehrsnetzpläne online (oder gar an Haltestellen) gibt, kann man Haltestellennamen vergessen. So langsam beginne ich auch zu verstehen, warum man mir am Anfang davon abgeraten hat mir ein Fahrrad zu zulegen. Denn wenn man von den brüchigen Gehwegen absieht, ist der Verkehr in Neuquén genau wie in Buenos Aires chaotisch und somit gefährlich. Oft muss man aufpassen, dass man nicht umgefahren wird. Den Mentalitätsunterschied merkt man aber auch sofort daran, dass Männer sehr zuvorkommend sind. So halten zum Beispiel bei viel Verkehr Autofahrer nicht selten an, um eine junge Frau wie mich über die Straße zu lassen. Das wohl lustigste Ereignis war, als einer der zwei Polizisten, die eine Fahrzeugkontrolle durchführten, auf den zweiten Fahrstreifen lief, und somit die Autos stoppte, damit ich die Straße (übrigens stand ich bestimmt 10 Meter weit von den Polizisten entfernt) überqueren konnte.

Doch nicht nur vor Autos muss man sich in Acht nehmen. So laufen zum Beispiel Kinder auf der Straße umher, die um Geld betteln, und einen erschrecken, wenn man sich nicht vorsieht. So peinlich es ist, aber mir ist fast das Herz stehen geblieben, als so ein kleiner Junge einen schnellen Schritt in meinen Weg machte und schrie. Wenigstens war ich vorgewarnt, als ich ihm ein paar Tage später wieder begegnete und er erntete sich einen giftigen Blick.
Die nächste spannende Sache, die meine Geduld auf die Probe stellen, sind die Toiletten. Mal davon abgesehen, dass ich oft Schwierigkeiten habe, auszumachen, wo man spült (oft eine erfolglose Suche), muss man darauf Acht geben, dass man das Klopapier, was sich nicht selten außerhalb – also vor der Toilettentür – befindet, auch mitnimmt. Nie weiß ich, ob ich das Papier ins Klo werfen soll oder in den Mülleimer daneben. Dazu kommt häufig noch dazu, dass sich die Türschlösser nicht ordentlich verschließen lassen (falls man denn überhaupt die Türen komplett schließen kann und sie nicht schon vorher klemmen). So passiert es nicht häufig, dass man betet, dass niemand anders die gleiche Toilette nutzen möchte.


Bis jetzt habe ich noch gar nichts von meinen Kursen erzählt: Ich besuche Statistik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Argentiniens sowie ab nächster Woche hispanoamerikanische Literatur. Geschichte fordert mich am meisten, denn jede Woche müssen wir mehrere Texte lesen und dann einen Test schreiben. Ich fiel fast aus allen Wolken, als mir das am Freitag kurz vorm Test bewusstgemacht wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das entweder noch nicht erwähnt oder ich habe es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht mitbekommen. Wir dürfen gespannt auf das Ergebnis sein! Nicht wenig verblüfft war ich dann, als im Vorlesungssaal plötzlich ein Hund erschien. Schwänzchenwedelnd spazierte er durch die Stuhlreihen und tapste wie selbstverständlich einmal komplett durch den Raum, bevor er mit mir und den restlichen Studenten zusammen den Raum verließ. Hier laufen wirklich enorm viele Hunde herum, viele davon herrenlos. Wenn ich mich in der Nachbarschaft umschaue, dann besitzt im Schnitt jeder Haushalt einen Hund. Recht glücklich hat es mich am Mittwoch gemacht, als unser Nachbarhund mich nicht mehr angebellt hat, weil er sich langsam an mich gewöhnt.

Die nächsten Zeilen werden meinen Mitbewohnerinnen gewidmet: Maggi hat mir am einen Tag einen Alfajor (eine typische argentinische Süßigkeit: Zwei in Schokolade eingehüllte Kekse, zwischen denen sich Dulce de Leche befindet) geschenkt und am nächsten Tag Flan (Karamellpudding) für uns gemacht, meine bisherige argentinische Lieblingssüßspeise. Sie ist eine gute Köchin und versorgt mich und Lore blendend. Lore, die ich oben schon erwähnt hatte, ist eine sehr interessante Person. Ihre aufgeweckte Persönlichkeit und ihr Motivationsdrang, der meinem ähnelt, bringen Spannung in mein Leben. Ich habe nach dem ersten Eindruck das Gefühl, dass wir viel zusammen erleben werden. Gleich am ersten Abend, nachdem ich sie kennengelernt hatte, lud sie mich zum Essen mit ihr und ihrem Sohn Luciano ein. Luciano wohnt in Mendoza, wohin wir eventuell alle im Oktober fahren, und wird ab nächstem Semester auch in der UNCo studieren.



















Als wir im Restaurant waren, trat plötzlich ein Straßenmusikant ein, der mit seiner Gitarre ordentlich Stimmung machte. Man konnte anhand der Reaktion von Luciano und Lore ablesen, dass sowas hier keine Seltenheit ist. So ist es auch nichts besonderes, wenn man abends mit dem Auto an einer roten Ampel steht und Jungs mit einem Putzlappen die Scheiben wischen, um sich ein wenig Taschengeld dazu zu verdienen. Auch Straßenkünstler versuchen die Gelegenheit von wartenden Autos zu nutzen, um uns mit ihren Kunststücken zu verzaubern.


An einem anderen Abend ging ich mit den beiden zu einer von Lores Freundinnen Gabi, die mir Farben zum Malen schenkte. Jetzt habe ich ganz viel Motivation meine Zimmerwände in eine Riesenleinwand umzufunktionieren. Am gleichen Abend wurde ich erneut Zeugin vom organisatorischen Chaos hier. Wir beeilten uns noch zum Terminal zu kommen und nahmen deshalb extra ein Taxi (welche viel billiger sind als in Deutschland; übrigens stellte der Taxifahrer, als wir an einem Streifenwagen vorbeifuhren, das Licht im Taxi an, damit die Polizisten uns nicht anhielten und wir schnell vorbeifahren konnten). Luciano wollte nach Mendoza mit dem Bus zurückreisen, der allerdings nicht erschien. Als wir uns bei der Agentur meldeten, wurden wir damit vertröstet, dass der Bus am nächsten Morgen um 7 käme. Laut der Nachricht, die mir Lore am nächsten Tag schickte, fuhr der Bus erst nach 9. Sowas wie Rückerstattung des Fahrpreises existiert hier nicht. Das ist schon erschreckend und ich weiß die Rechte, die uns in Deutschland zustehen und die wir auch gerichtlich einfordern können, immer mehr zu schätzen.

Trotz all der Desorganisation habe ich das Gefühl angekommen zu sein. Es fehlen nur noch wenige Dinge, die ich erledigen muss, bevor ich mich voll auf das Studium konzentrieren haben. Den Großteil, warum ich mich hier so wohlfühle, verdanke ich der Freundlichkeit, mit der mich alle empfangen. Es haben mir in den ersten Tagen mehr als 10 Leute gesagt, dass ich mich bei irgendwelchen Problemen auf jeden Fall bei ihnen melden kann. Eine Sekretärin schickte mir sogar eine Liste von Reisetipps für das verlängerte Wochenende. Und wer hätte es gedacht: Ich war letzte Woche zweimal Fußballspielen! Dank Cecilia, die mich überredete, kam ich mit zum Training vom Frauenfußball und hatte sogar Spaß dabei. Ich finde es erstaunend, wie viel ich hier erlebe, was ich mir vorher absolut nicht hätte vorstellen können.



P.S.: Bei dem tollen Wetter und der Sonne kann man sich echt nicht beklagen. Trotz der starken Winde ist es superschön hier.

Sonntag, 7. August 2016

Patagonien - Neuquén



Für mich ging es gestern (Samstag) in das geheimnisvolle Patagonien. Gleich zu Beginn merkte ich, dass die Mythen zu stimmen scheinen. Zwar sind es momentan nur ca. 10°C weniger als in Buenos Aires, aber mir wurde auch schon mitgeteilt, dass es sich gerade um schönes, warmes Wetter handle (wir reden hier von ca. 7° um die Mittagszeit und kühlen, stärkeren Winden). Ich hatte mich auf milderes Wetter eingestellt, da mir mitgeteilt wurde, dass in Neuquén äußerst selten Schnee läge. Meine falsche Schlussfolgerung formt sich ohne Wissen über die niedrigen Niederschlagsraten (wie gesagt: Wüste) und ungeachtet dessen, dass Schnee gewöhnlich bei Temperaturen rund um 0°C und selten bei Minusgraden im höheren Bereich fällt.


Ich war bestimmt nicht ganz so aufgeregt wie damals Charles Darwin, als auch mit 22 Jahren an einer Expedition an einer von Robert Fitz Roy geleiteten Exkursion in diese Region teilnahm. In Neuquén wurde ich freundlich von Cecilia in Empfang genommen, die Tochter meiner Kontaktperson. Davon hatte mich zuvor niemand informiert und ich bin froh, dass ich nicht gleich mit „Hola Cristina!“ auf sie zuging. Von ihr wurde ich direkt zu meiner künftigen Unterkunft gebracht. Ich wohne nun in einem niedlichen, Häuschen, welches direkt auf dem Berg in der Nähe von der Uni ist. 


Das Häuschen, in dem ich mein Zimmer habe, ist nicht mehr das neuste, aber bewohnbar. Ein paar Dinge zeigen sich etwas problematischer: 
die Waschmaschine, das Türöffnen, den Schrank oder das Fenster zu schließen, die Gardine zur Seite zu ziehen und das Bett zu verrücken. All dies sind Dinge, die man in Deutschland meist ohne, dass es der Rede wert wäre, bewältigen kann, aber mich hier teilweise auf die Probe gestellt haben. So wurde meine Wäsche zum Beispiel Opfer der Windböen und fand sich zur Hälfte auf dem Erdboden im Garten verteilt wieder (noch nicht komplett trocken, weil die Waschmaschine streikt, wenn ihr man mehr als 3 Teile zumutet). 

Als ich mein Zimmer umräumen wollte, brachte ich neben der Gardinenstange auch noch das Bett zu Fall. Ein Freund, dem ich alles berichtete, fragte mich daraufhin, ob ich versuchen würde als Deutsche einen guten Eindruck zu machen, indem ich zuerst alles zerstöre und dann mit viel Hingabe repariere. 
Meine Vermieterin Margarita begrüßte mich gleich mit einem Mittagessen. Es gab Schnitzel mit Salat und Brot. Wie ich es schon gewohnt bin, war auch sie gastfreundlich und gesprächig. Ich habe das Gefühl, dass, wenn ich nicht reinrede, kaum zu Wort zu kommen. Zumindest hat sie mir bis jetzt ständig etwas zu erzählen und scheint froh über meine Gesellschaft zu sein. Kurz bevor ich das Haus verlassen wollte, bekamen wir unerwartet Besuch von Cristina und ihrem Mann, die mich beide kennenlernen wollten. An die Spontanität muss sogar ich mich erstmal gewöhnen.
Abends inspizierte ich ein wenig die Gegend und schaute nicht schlecht, als ein paar junge Leute im Auto an mir vorbeizogen, und das wohlgemerkt mit offenem Kofferraum, aus dem eine Person eine Schubkarre hinter dem Wagen herzog. Was man ihnen lassen muss: Die Warnblinkanlage war eingeschaltet.
Heute lebte ich nach den erlebnisreichen Ereignissen etwas in den Tag hinein und wollte mich entspannen bevor die Uni morgen beginnt. Aber wer mich kennt, der weiß, dass dies nur bei einem guten Vorsatz blieb, denn von Beginn des Nachmittags an, war ich außer Haus. Cristina holte mich ab und zeigte mir kurz das Unigelände, wo wir außer ein paar streunenden Hunden auch noch ein paar Leute in meinem Alter beobachteten, die sich einen Wettbewerb mit Fahrrad-Stunts lieferten. Nachdem ich einen ersten Eindruck vom Campus der Uni erhascht hatte, genoss ich einen atemberaubenden Blick über die unendlichen Weiten vom Parque Norte aus. Das bombastisch gute Wetter lockte massenhaft Leute auf die Straßen und in die städtischen Parks. Da war echt viel los!


Im Anschluss bei Cecilia abgeliefert, ging es auf einen Stadtspaziergang bei dem sie mir die Hauptstraße Av. Argentina zeigte und erklärte, dass die rundum im Schachbrettmuster angelegten Straßen von dort ausgehend nummeriert werden. Und da sagt man, dass Deutschland ein geordnetes Land sei! Hier ist alles so durchgeplant, dass man die Entfernungen verlässlich in Straßenblocks angeben kann.





Genau wie in Buenos Aires fühle ich mich auch hier zunehmend wohler. Hier gibt es neben den Bergen, auf denen ich zu Hause bin und einen super Ausblick habe, auch einen Fluss, an dessen Ufern man entspannt entlang spazieren kann. Und das Beste kommt noch: Direkt neben dem Fluss, der übrigens nach der Stadt benannt wurde, werden Churros verkauft! Churros (siehe Foto) sind leckere Teigstangen, die hier mit dulce de leche (einer Karamellcreme) gefüllt werden. Jetzt habe ich einen Gewissenskonflikt: Was ist besser Churros oder Donuts???
Nachdem wir am Fluss spazieren waren, rief Cecilia ihre Freundin Veronica an, die auf dem Weg nach Hause lag und wir schneiten bei ihr kurz noch auf einen Mate-Tee vorbei. Es ist so, wie mir schon vorher berichtet wurde: Die Teeblätter werden zusammen mit heißem Wasser in ein Gefäß eines ausgehölten Kürbis‘ gegeben, welcher dann aus einem Metallstrohhalm getrunken und unter allen Beteiligten umhergereicht wird. Als wir uns nett unterhielten, ging auf einmal ein Alarm im Nachbarhaus (dem Haus von Veronicas Eltern) los, was aber niemanden zu stören schien. Stattdessen sorgte ihr anderer Nachbar, der anscheinend irgendwie in ihrem Garten wohnte, kurz dafür, dass der Alarm wieder Ruhe gab. Ungefähr eine viertel Stunde später erlebten wir das gleiche Spektakel noch einmal von vorn. Auf meine Frage hin, warum denn der Alarm ständig angehe, kam ein Schulterzucken und der Kommentar, dass es vielleicht am Wind läge. Wer weiß?
Für die kurze Zeit bisher, habe ich ganz schön viele Leute kennengelernt, wie zum Beispiel später am Abend Cecilias Oma. Ihr war sowohl bewusst, dass Dresden im zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde, als auch, dass die alten Steine der Frauenkirche bei ihrem Wideraufbau erneut verwendet wurden. Mich erstaunte, dass jemand, der so weit weg wohnt und noch nie in Dresden war, Kenntnis davon besitzt. Ich bin gespannt, wem ich auf meiner Reise noch begegnen werde und schon ganz neugierig wie morgen der erste Tag in einer argentinischen Uni verlaufen wird.


Samstag, 6. August 2016

Der Weg ins spannende Argentinien

Am Flughafen

In Frankfurt startete die Reise am Dienstagabend und führte mich über Madrid, wo ich Zeugin eines belustigenden Ereignisses wurde. Während ich auf den Flieger nach Buenos Aires wartete (laut Ansprache des Piloten nur eine „kleine Verspätung“ – übersetzt: eine Stunde länger!!!), ging ein spanischsprechender Mitarbeiter des Flughafens durch die wartenden Reihen und fragte, wer denn allein fliegen würde. Zum Glück hatte ich nicht sofort die Hand hoch gerissen und es wurde jemand anders zum Opfer der Attacke. Da der Flieger überbucht war, wurde nach einer Person gesucht, die erst morgen zur selben Uhrzeit fliegen würde.

Generelle Infos über Argentinien 

Wie du dir bei ca. 19 Stunden Reisezeit vorstellen kannst, hatte ich viel Zeit, mich mit meinem Reiseführer zu beschäftigen und schon einmal erste Eindrücke zu sammeln. Im folgenden Abschnitt gebe ich dir einen kleinen historischen Überblick über das Land, in dem ich die nächsten Monate verbringen werde.
Das spanisch-sprachige Argentinien befindet sich im Süden Lateinamerikas, was bedeutet, dass ich mich jetzt direkt in den dortigen Winter begebe. Dieser ist in der Hauptstadt Buenos Aires wohl eher das, was bei uns ein kühler Herbst wäre. In Patagonien wehen angeblich eisige Winde und es ist ziemlich kalt. Die hiesige Währung nennt man Argentinische Pesos. Hier kann man nur gegen eine relativ hohe Gebühr Bargeld abheben, deshalb empfehle ich dir Euroscheine mitzunehmen, die du dann hier umtauschen kannst.

Schon auf dem Flughafen fiel mir auf, dass die meisten Menschen, die nach Buenos Aires reisen ziemlich europäisch aussehen. Der Grund dafür: In den letzten beiden Jahrhunderten gab es mehrere Einwanderungswellen und das nicht nur aus Spanien, sondern auch aus Polen, Deutschland, Italien, Irland, der Schweiz und dem Nahen Osten.

Sagt dir der Name Juan Domingo Perón etwas? Er ist fast so eine wichtige Persönlichkeit der argentinischen Geschichte wie der Spanier Juan Díaz de Solís, der 1516 die Mündung des Paraná entdeckte und einen „Heldentod“ starb, als er zur Mahlzeit der Charrúa-Indianer wurde. Die zweite (fast genauso unglückliche) Unternehmung, wird von Pedro de Mendoza gestartet, welcher die gegründete Stadt aufgrund von Angriffen der Ureinwohner wieder aufgeben musste. Der Name Buenos Aires entstammt der heimatlichen Schutzpatronin (Nuestra señora del Buen Ayre). Erst ca. 50 Jahre später gelang die Gründung von Buenos Aires spanischen Streitkräften von Asunción aus. Jedenfalls ist Perón ein ehemaliger Präsident Argentiniens, der durch eine Militärdiktatur ab 1955 ins Exil nach Spanien gezwungen wurde. Trotzdem hat er es 1973 erneut an die Macht geschafft. Nach seinem Tod ein Jahr später konnte seine Frau sich allerdings nicht gegen die Gewalt des Militärs behaupten und es folgte wieder eine Militärdiktatur. Ein ganz schönes Chaos, oder?
Beim Krieg um die Falklandinseln, aus dem Großbritannien Anfang der 80er Jahre als Sieger hervorging, war das Militär erheblich geschwächt. Ab 1983 begann ein Demokratisierungsprozess und 20 Jahre später erlebte die Wirtschaft mit Präsident Néstor Kirchners Mitte-links-Regierung einen starken Aufschwung. Als seine Frau Cristina Fernández de Kirchner die Wahlen gewann, löste sie ihn 2007 ab. Seit Ende letzten Jahres gibt es eine neue Regierung, über die ich momentan aber noch nicht viel berichten kann. Als kleine Geschichtsstunde reicht das erstmal!


Ankunft

Gut angekommen war ich Mittwochmorgen am EZE-Flughafen, der südlich von der Stadt Buenos Aires liegt. Dank Agustín war die Ankunft sehr entspannt, da ich den Luxus genoss, mit dem Auto abgeholt zu werden. Ich konnte es kaum erwarten das Land endlich „life“ zu erleben, nachdem ich herzlich von Agustíns Familie in Empfang genommen wurde. Sogar Carla, seine Schwester, die schon ausgezogen ist und mir ihr Zimmer überließ, lernte ich per Skype am Frühstückstisch kennen (dass sie eigentlich gerade auf Arbeit war, sprach einer kleinen Unterhaltung nicht entgegen). Nach einer kleinen Führung durch sein niedliches Häuschen, in dem ich mich die nächsten Tage aufhalten würde, bewegten wir uns in die Stadt wie normale Porteños (übersetzt Hafenbewohner – so wie sich die Leute aus Buenos Aires nennen): Mit dem tren (Zug) und der subte (U-Bahn). Was mich besonders fasziniert, sind die wunderschön gestalteten Mosaike und Kunstwerke, die sich an den Wänden der Untergrundpässe entlangziehen. 
Mir gefällt die künstlerische Vielfalt der Stadt: Selbst, wenn es viele heruntergekommene Gebäude gibt, so werden sie in eine bunte Hülle gepackt und zu wahren Schätzen (zumindest für Menschen wie mich, die sich für Malerei und Graffiti begeistern). 
Ganz entgegen meiner anfänglichen Erwartungen, sah ich viel Reichtum in der Stadt. Dies lag aber vor allem daran, dass ich die ersten beiden Tage nur die wohlhabenden Gegenden zu Gesicht bekam. Die Menschen, die in den öffentlichen Verkehrsmitteln Sachen zu verkaufen versuchten und der Junge, der um Essen bettelte, entsprachen da schon eher dem, was man aus Erzählungen über die soziale Spaltung des Landes hört. Kein Wunder also, dass man von allen Argentiniern, die es gut mit einem meinen und mit Europäern Erfahrung haben, darauf hingewiesen wird, unbedingt auf seine Sachen aufzupassen. So wechselten wir zum Beispiel den Wagon in der U-Bahn mit der Begründung, dass sich im vorigen Abteil eine verdächtige Person befand. Man kann beobachten, dass alle Passagiere ständig ihre Tasche im Blick haben (was ein extremer Unterschied zu Japan ist, wo die Leute ein gemütliches Nickerchen während der Fahrt halten).

Was mich am meisten an Buenos Aires verwunderte, war wohl der Baustil. Ich hatte zwar gelesen, dass sich die Stadt im Vergleich zum Rest von Lateinamerika sehr europäisch gibt, doch dass alles so enorm französischen oder spanischen Gebäuden gleicht, hätte ich nie gedacht. Zugegeben: Ich beziehe mich hier auf die Gebäude, die Straße Av. De Mayo flankieren und solche im Stadtteil von Recoleta, wo ein zweites Paris geschaffen wurde. Hier haben sich europäische Architekten ausgetobt. 
Zu meinem Erstaunen liegt die Metropole übrigens nicht am Meer, sondern nahe der Mündung des gigantischen Flusses Río de la Plata (da man das andere Flussufer nicht erkennt, kommt es einem vor, als befände man sich an den großen Weiten des Ozeans).


Am ersten Tag gab mir eine zweistündige Stadtführung einen Überblick über einen Großteil der Hauptsehenswürdigkeiten im Zentrum, wie zum Beispiel: Parlament, Palacio Barolo, und Casa Rosada
Die Endstation war Plaza de Mayo, wohl einer der geschichtlich bedeutendsten für Argentinien. In nicht zu großer Vergangenheit versammelten sich hier die Mütter der desaparecidos (der Verschwundenen) während der Zeit der Repression. Aufgrund des Verbotes von Demonstrationen auf den Platz, marschierten sie in einem großen Kreis um den Platz herum. Auf dem Boden erinnern die in Kreisform um die zentrale Säule in Stein gefassten Kopftücher an die Protestmärsche. Noch heute finden jeden Donnerstag Versammlungen statt.

Abends tischte die kochbegabte Mutti von Agustín Sorrentinos auf, was ein typisches argentinisches Gericht ist, welches großen Tortellini gleicht. Ein Genuss! Ich glaube, dass ich ein neues Lieblingsessen gefunden habe.

Am zweiten Tag ging es lecker weiter: Es gab Facturas, süßes Blätterteiggebäck in unterschiedlichsten Formen. Sind in Deutschland Privathäuser, die alarmgesichert sind, üblich? Da ich sowas nicht gewohnt war, schaffte ich es natürlich mit Bravour den Alarm des Hauses am Morgen auszulösen. Nichtsahnend spazierte ich in die Küche, es ging eine Sirene los und ein paar Sekunden später stand Agustín in der Tür. Aber man kann seine Laune anscheinend nicht trüben, denn auch, als ich es kurze Zeit später fertigbrachte, den Rollladen funktionsuntüchtig zu machen, blieb er die Ruhe in Person. Und dabei dachte ich, dass Argentinier ihren Empfindungen wild gestikulierend und laut Ausdruck verleihen würden! :D
Von rasantem Charakter zeugt schon eher die Fahrweise der argentinischen Autofahrer. Was für ein Chaos auf diesen Straßen. Rot scheint mir hier weniger eine Signalfarbe zu sein, als ein Accessoire, welches die Straße in ein schönes Licht taucht.
Dass jemand auf die Idee kommt links zu überholen, ist genauso unwahrscheinlich wie eine Autofahrt lang kein Hupen zu hören oder gar den Sicherheitsabstand einzuhalten: Hier ist es gängig von rechts zu überholen. Wenn ich mich jemals wieder über die Fahrweise von Münchnern beschwere, erinnere mich an Buenos Aires!
Jedenfalls war unser Plan diesmal mit dem Auto in die Stadt zu fahren, um das Nachtleben der Porteños unsicher zu machen. An dieser Stelle muss ich ein Geständnis loswerden: Ich habe mich verliebt. Buenos Aires ist wirklich einmalig und facettenreich. Nach einer Radtour durch das ruhigere Stadtviertel von Palermo, höre ich Agustín sagen: „Das war doch nicht Buenos Aires!“
– Was ist denn dann Buenos Aires? Sind dann vielleicht die europäisch angehauchten Gebäude in Recoleta typisch?

Oder die kunterbunten Hafenbauten im Viertel la Boca, oder vielleicht die modernen, futuristischen Hochhäuser im Puerto Madero, die wir uns am dritten Tag anschauten?


Es gibt einfach wahnsinnig viel zu entdecken und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es in so einer Stadt langweilig werden könnte.


Man kann wirklich sagen, dass die Welt ein Dorf ist. So erfuhr ich, dass eine Schulfreundin zur gleichen Zeit wie ich in Buenos Aires war. Und nicht nur sie, sondern auch noch ein anderer Argentinier, den ich aus Dresden kannte. Es stellte sich raus, dass die beiden sich kannten und auch Freunde von Agustín sind. Zufälle gibt es! Am Donnerstag sind wir alle in eine Bar gegangen und verbrachten einen tollen Abend zusammen. Jedoch muss ich mich noch daran gewöhnen, dass man keine Sekunde für sich allein am Rand stehen kann, weil sonst sofort jemand zur Stelle ist, der mit einem (nicht nur) reden oder tanzen möchte.

Alles in allem hatte ich eine wunderbare Zeit, die ich so schnell nicht vergessen werde. Ich bin sehr dankbar, dass ich so lieb und gastfreundlich aufgenommen wurde. Bevor ich von Deutschland los geflogen bin, hätte ich mir nicht erträumen können, dass es so toll hier sein würde.