Die erste Woche in der Uni
Das ging so schnell, sag ich dir! Während der ersten Woche
nahm die Zeit in Neuquén für mich andere Dimensionen an und ehe ich mich
versah, war sie rum. Die erste Woche in der UNCo (Universidad Nacional del
Comahue) habe ich gut überstanden. Alle Leute, die ich bisher kennengelernt
habe, waren freundlich und hilfsbereit.
Als hätte ich es mir nicht vorher denken können, ist man mit
deutscher Pünktlichkeit viel zu früh dran. Zumindest war es so, als ich am
Montag zum ersten Mal in die Uni ging. So wurde ich von einem Wartezimmer ins
nächste umquartiert und ich musste viel hin- und herrennen, um mir die
Modulbeschreibungen zu besorgen, damit ich noch rechtzeitig rausfinden konnte,
welche Kurse anerkannt werden können. Schmunzelnd erinnere ich mich an Dienstag
zurück, als ich mir erneut Stress machte, dass ich zur ausgemachten Zeit in der
Uni zur Führung der ausländischen Studenten auftauche. Auf dem Weg zur Uni hat
Lore, meine zweite Mitbewohnerin versucht, mich zu beruhigen und gesagt, dass
ich bestimmt trotzdem (mit ca. 10 Minuten Verspätung) noch eher da sein würde,
als die anderen. Letztendlich war ich nicht nur pünktlicher, sondern
anscheinend auch die Einzige und von den 3 anderen Studenten lernte ich nur
einen am Donnerstag kennen. Am gleichen Tag hatte ich dann zum Glück
Rückmeldung von allen Professoren, die mir die Credits in Deutschland
anerkennen würden und konnte dadurch endlich meinen finalen Stundenplan
zusammenstellen. Obwohl ich nur 3 Module belege, habe ich 20 Wochenstunden (im
Vergleich zu Deutschland, wo man pro Modul nur 2-4 Wochenstunden hat, ist das
eine Menge). Addiert man die Stunden, die ich mir für die Sportkurse
vorbehalten habe, dazu, werde ich wohl ziemlich ausgelastet sein.
Wenn ich an die vergangene Woche zurückdenke, dann habe ich
eigentlich nicht viele Dinge erreicht, bin aber sehr viel gelaufen, unter
anderem, weil ich es erst am Donnerstag schaffte, mir die SUBE-Karte für die
hiesigen Busse zu beschaffen. Kein Wunder, dass ich seit Dienstag von
Muskelkater geplagt werde. Relativ erfolgreich war ich allerdings damit, mir eine
SIM-Karte zu kaufen. Was in Deutschland bekannte Namen wie Telekom, O2 oder
Vodafone sind, ist hier Movistar. Als ich in eine der Filialen trat, herrschte
Stille: Alle warteten, zwei der Verkäuferinnen waren in ihre Computer vertieft.
Nachdem ich einen kurzen, verunsicherten Blick über die ungewohnt schweigsame
Szene schweifen lies, lief ich zu einem der Schalter und fragte, ob ich hier
eine Telefonkarte kaufen könnte. Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich ein
Warteticket ziehen müsse. Was mich dort noch erstaunte, wurde während meiner
vielen Erledigungs-Streifzüge zur Gewohnheit: Überall, egal ob beim Bürgeramt,
dem Bankschalter (dem ich die letzte Woche fünf Besuche abstatten musste, bis
halbwegs das gewünschte Ergebnis erzielte) oder beim Bäcker, musste man ein
nummeriertes Zettelchen vorzeigen, bevor man bedient wurde. Erwähnenswert finde
ich an dieser Stelle die Bevorzugung von Europäern in Ämtern. Zusammen mit
Helios, dem Studenten aus Spanien, ging ich ins ANSES (sowas wie ein Bürgeramt),
wo ich schockiert über die wartenden Menschenmassen war. Schon um ca. 9 Uhr war
die Kapazität für den gesamten Tag ausgelastet. Doch für uns als Europäer wurde
da einfach mal eine Ausnahme gemacht und anstelle einer 118, erschien nach der
117 eine 204 und eine 205 (unsere Nummern), die auf dem Bildschirm für die
Zahlen, die zunächst bedient werden sollten. Als sich jemand am Schalter
erkundigte, wurde ihm nur mitgeteilt, dass die Zahl 205 Priorität hätten und er
mich doch an sich vorbeilassen sollte, weil das sonst unhöflich wäre. Erschreckend,
oder? Zugegeben: Meine Erfahrung ist kein repräsentatives Beispiel und könnte
auch nur ein Ausnahmefall gewesen sein, doch hätte ich mir vorher nicht
vorstellen können, dass solch ein Ungleichgewicht in der Behandlung von
Menschen existiert.
Das sollte nicht das einzige bleiben, was mich überraschen
sollte. So hätte ich zum Beispiel ohne Hilfe meiner Mitbewohnerin vergeblich
nach Bushaltestellen oder gar Fahrplänen suchen können. Man kann sich
eigentlich schon darauf verlassen, dass irgendwann ein Bus kommt, wenn es nicht
gerade nach 11 Uhr nachts ist. Falls er einen dann auch noch ans Ziel bringt,
dann ist das eher ein Glücksfall; zumindest dann, wenn man sich vorher nicht
bei Einheimischen erkundigt hat. Genauso wenig, wie es Verkehrsnetzpläne online
(oder gar an Haltestellen) gibt, kann man Haltestellennamen vergessen. So
langsam beginne ich auch zu verstehen, warum man mir am Anfang davon abgeraten
hat mir ein Fahrrad zu zulegen. Denn wenn man von den brüchigen Gehwegen
absieht, ist der Verkehr in Neuquén genau wie in Buenos Aires chaotisch und
somit gefährlich. Oft muss man aufpassen, dass man nicht umgefahren wird. Den
Mentalitätsunterschied merkt man aber auch sofort daran, dass Männer sehr
zuvorkommend sind. So halten zum Beispiel bei viel Verkehr Autofahrer nicht
selten an, um eine junge Frau wie mich über die Straße zu lassen. Das wohl
lustigste Ereignis war, als einer der zwei Polizisten, die eine Fahrzeugkontrolle
durchführten, auf den zweiten Fahrstreifen lief, und somit die Autos stoppte,
damit ich die Straße (übrigens stand ich bestimmt 10 Meter weit von den
Polizisten entfernt) überqueren konnte.
Doch nicht nur vor Autos muss man sich in Acht nehmen. So
laufen zum Beispiel Kinder auf der Straße umher, die um Geld betteln, und einen
erschrecken, wenn man sich nicht vorsieht. So peinlich es ist, aber mir ist
fast das Herz stehen geblieben, als so ein kleiner Junge einen schnellen
Schritt in meinen Weg machte und schrie. Wenigstens war ich vorgewarnt, als ich
ihm ein paar Tage später wieder begegnete und er erntete sich einen giftigen
Blick.
Die nächste spannende Sache, die meine Geduld auf die Probe
stellen, sind die Toiletten. Mal davon abgesehen, dass ich oft Schwierigkeiten habe,
auszumachen, wo man spült (oft eine erfolglose Suche), muss man darauf Acht
geben, dass man das Klopapier, was sich nicht selten außerhalb – also vor der Toilettentür
– befindet, auch mitnimmt. Nie weiß ich, ob ich das Papier ins Klo werfen soll
oder in den Mülleimer daneben. Dazu kommt häufig noch dazu, dass sich die Türschlösser
nicht ordentlich verschließen lassen (falls man denn überhaupt die Türen
komplett schließen kann und sie nicht schon vorher klemmen). So passiert es
nicht häufig, dass man betet, dass niemand anders die gleiche Toilette nutzen
möchte.
Bis jetzt habe ich noch gar nichts von meinen Kursen erzählt:
Ich besuche Statistik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Argentiniens sowie ab
nächster Woche hispanoamerikanische Literatur. Geschichte fordert mich am
meisten, denn jede Woche müssen wir mehrere Texte lesen und dann einen Test
schreiben. Ich fiel fast aus allen Wolken, als mir das am Freitag kurz vorm
Test bewusstgemacht wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das entweder noch
nicht erwähnt oder ich habe es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht
mitbekommen. Wir dürfen gespannt auf das Ergebnis sein! Nicht wenig verblüfft
war ich dann, als im Vorlesungssaal plötzlich ein Hund erschien.
Schwänzchenwedelnd spazierte er durch die Stuhlreihen und tapste wie
selbstverständlich einmal komplett durch den Raum, bevor er mit mir und den restlichen
Studenten zusammen den Raum verließ. Hier laufen wirklich enorm viele Hunde
herum, viele davon herrenlos. Wenn ich mich in der Nachbarschaft umschaue, dann
besitzt im Schnitt jeder Haushalt einen Hund. Recht glücklich hat es mich am
Mittwoch gemacht, als unser Nachbarhund mich nicht mehr angebellt hat, weil er
sich langsam an mich gewöhnt.
Die nächsten Zeilen werden meinen Mitbewohnerinnen gewidmet: Maggi hat mir am einen Tag einen Alfajor (eine typische argentinische Süßigkeit: Zwei in Schokolade eingehüllte Kekse, zwischen denen sich Dulce de Leche befindet) geschenkt und am nächsten Tag Flan (Karamellpudding) für uns gemacht, meine bisherige argentinische Lieblingssüßspeise. Sie ist eine gute Köchin und versorgt mich und Lore blendend. Lore, die ich oben schon erwähnt hatte, ist eine sehr interessante Person. Ihre aufgeweckte Persönlichkeit und ihr Motivationsdrang, der meinem ähnelt, bringen Spannung in mein Leben. Ich habe nach dem ersten Eindruck das Gefühl, dass wir viel zusammen erleben werden. Gleich am ersten Abend, nachdem ich sie kennengelernt hatte, lud sie mich zum Essen mit ihr und ihrem Sohn Luciano ein. Luciano wohnt in Mendoza, wohin wir eventuell alle im Oktober fahren, und wird ab nächstem Semester auch in der UNCo studieren.
Als wir im Restaurant waren, trat plötzlich ein Straßenmusikant ein, der mit seiner Gitarre ordentlich Stimmung machte. Man konnte anhand der Reaktion von Luciano und Lore ablesen, dass sowas hier keine Seltenheit ist. So ist es auch nichts besonderes, wenn man abends mit dem Auto an einer roten Ampel steht und Jungs mit einem Putzlappen die Scheiben wischen, um sich ein wenig Taschengeld dazu zu verdienen. Auch Straßenkünstler versuchen die Gelegenheit von wartenden Autos zu nutzen, um uns mit ihren Kunststücken zu verzaubern.
Trotz all der Desorganisation habe ich das Gefühl angekommen
zu sein. Es fehlen nur noch wenige Dinge, die ich erledigen muss, bevor ich
mich voll auf das Studium konzentrieren haben. Den Großteil, warum ich mich
hier so wohlfühle, verdanke ich der Freundlichkeit, mit der mich alle
empfangen. Es haben mir in den ersten Tagen mehr als 10 Leute gesagt, dass ich
mich bei irgendwelchen Problemen auf jeden Fall bei ihnen melden kann. Eine
Sekretärin schickte mir sogar eine Liste von Reisetipps für das verlängerte
Wochenende. Und wer hätte es gedacht: Ich war letzte Woche zweimal
Fußballspielen! Dank Cecilia, die mich überredete, kam ich mit zum Training vom
Frauenfußball und hatte sogar Spaß dabei. Ich finde es erstaunend, wie viel ich
hier erlebe, was ich mir vorher absolut nicht hätte vorstellen können.
P.S.: Bei dem tollen Wetter und der Sonne kann man sich echt nicht beklagen. Trotz der starken Winde ist es superschön hier. |
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