Mittwoch, 12. Oktober 2016

Endlich mal ein Kurzzeiturlaub




Da die letzten Wochen stressig waren, gönnte ich mir über das verlängerte Wochenende eine wohlverdiente Pause und zog mich in die einsamen Berge zurück. Am Freitag holten mich Juli und ihr Freund Agustín ab und wir fuhren zum Wochenendhäuschen von Julis Familie am See Alumine. 

Das ist das erste Mal, dass ich eine größere Reise in der Provinz Neuquén unternahm. Während rund um die Städte viel Müll verteilt war und wir während einer Pause ein Spiel machten, bei dem man unterschiedliche Gegenstände mit Steinen treffen musste, waren die Landschaften, die in der Nähe der Berge lagen, wesentlich sauberer. Es erfreute mein Herz zu sehen, dass die verlasseneren Gebiete bisher noch nicht von Müllbergen verschandelt werden.

Von den einsamen Reifen gibt es eine Menge. Sie werden von
den Gauchos benutzt, um die Pferde anzuleinen.
Während der Fahrt blickte ich auf unendliche Weiten und fühle mich ausgelassen und frei. Wir flogen über die Landstraßen (ich hatte eigentlich nicht angenommen, dass man so schnell fahren kann; mir wurde erklärt: können schon – dürfen eigentlich nicht) und ich bewunderte die sich langsam abwechselnde Landschaft. Solche Weiten habe ich noch nie gesehen oder zumindest erinnere ich mich nicht mehr so deutlich daran. Es kann sein, dass ich in Texas auch ähnliche Bilder vor Augen hatte. Jedoch tauchten bei der argentinischen Landschaft nach einer Weile Berge mit schneebedeckten Kuppen auf: Die Anden erblickte ich zum ersten Mal. Je mehr wir uns den Bergen näherten, desto grüner wurde es um uns herum. Wir bewunderten Schafherden, argentinische Rinder und Pferde. Auf der Rückfahrt vorgestern habe ich sogar einen Gaucho, einen argentinischen Cowboy, auf einem Pferd am Straßenrand entlangreitend gesehen.



Die Hütte von innen
Doch nichts bisher überwältigte mich mehr als den See Alumine zu sehen. In Villa Perhuenia angekommen, wo das sich das Ferienhaus von Juli befand, stellte ich wieder einmal fest, wie sehr der europäische Baustil Einfluss auf Argentinien genommen hatte. Die Hütten, die ich sah, glichen dem Bild, was ich im Kopf habe, wenn ich an Finnenhütten denke. Es ist schon, was mich für ein Gefühl von Heimat bei den vielen Nadelbäumen überkam. Eine Sache gab es jedoch, die meine Gedanken wieder auf das argentinische Festland zurückrief: Die Araukarien. 

Diese Pflanzen sind prähistorische Bäume und haben angeblich schon vor den Dinosauriern ihre Wurzeln auf der Erde geschlagen. Ihre Blätter sind einmalig und gleichen Haifischzähnen, die eng beisammenstehend rund um den Ast wachsen. Die Araukarien sind dunkelgrün, wenn man weiß, dass man nicht gegen die Wuchsrichtung über ihre Äste streichen sollte, ungefährlich und nach meinem Empfinden wunderschön anzusehen.


In der niedlich eingerichteten Ferienwohnung hatte ich kein Internet und konnte seit langer Zeit endlich richtig abschalten und mich auf die Natur konzentrieren. Ich habe gemerkt, wie befreiend so etwas sein kann. Am Sonntag machten wir ein Picknick am Strand des Sees und machten es uns auf Liegestühlen gemütlich und paddelten in Kanus auf dem See umher. Bei 16° im Sonnenschein (obwohl der Wetterbericht Regen angesagt hatte) traute ich mich sogar für einige Sekunden ins eisige Wasser. Es war sehr kalt, aber erfrischend.


Julis Familie und ich am See

Kaum zu glauben ist es, doch zum ersten Mal nahm ich ohne Zwang (der Uni) ein Buch auf Spanisch in die Hand, fing an zu lesen und legte es nicht nach den ersten 2 Seiten wieder weg. Das habe ich wohl Juli zu verdanken, die vorhatte ihre alten Bücher der Bibliothek zu spenden, sich aber vorher bei mir erkundigte, ob mich nicht eins davon interessieren würde. Jetzt habe ich es schon zur Hälfte durchgelesen und verstehe relativ viel vom Inhalt. Selbst wenn es mir Anstrengungen bereitet den Konversationen meiner Kommilitonen zu folgen, muss ich doch zugeben, dass ich stolz auf meine sprachlichen Fortschritte sein kann. Zwei von drei Zwischenprüfungen hab ich sogar bestanden.
Heute fiel die letzte Stunde in Literatur aus. Ich habe nicht genau verstanden warum und fragte Juli. Sie teilte mir mit, dass wir keinen Unterricht aufgrund des Windes hätten. Als ich anfing zu lachen, beteuerte sie, dass dies kein Scherz war. Prompt bekam ich das auf dem Heimweg auch zu spüren. Fast wurde ich weggepustet. Die Winde hier darf man nicht unterschätzen! 




Dienstag, 4. Oktober 2016

Aus eins und eins wird 2



Nenne mich nicht faul, weil ich nicht geschrieben habe! Ich hatte nämlich sehr viel um die Ohren.
Die letzten Tage musste ich durchgehend meinen Tag vorher genau planen, um keine Zeit zu verschwenden. Gestern war der erste, an dem ich wieder aufatmen konnte. Hier in der Uni gibt es für jede Veranstaltung Zwischenprüfungen: Also 3 Prüfungen auf Spanisch die ich bestehen muss!!! Diese Gewissheit übte nicht wenig Druck aus und wurde noch begleitet mit der Panik, dass ich die Hausarbeit für Soziolinguistik (als Souvenir des letzten Semesters in Deutschland) bis Monatsende einzureichen hatte. Ich schrieb über die Mapuche und ihre Sprache. Die Mapuche (übersetzt Menschen der Erde/ des Bodens) sind ein indigenes Volk, von welchem große Teile in Chile leben. Heute hat der Großteil, der nicht in isolierten Gemeinschaften lebt, seine ehemalige Sprache verloren und spricht Spanisch. Dies liegt in erster Linie an der Diskriminierung und Unterdrückung, mit der sie in der Vergangenheit konfrontiert wurden. Für meine Hausarbeit bekam ich die Chance mit jemandem ein Interview zu führen, der Mapuche-Vorfahren hatte. Er schenkte mir sogar ein Buch, um die Sprache zu erlernen. Ein paar Worte habe ich auch schon gelernt. Wie du siehst, war ich alsso ziemlich im Stress die letzten Tage, um den ganzen Verpflichtungen nachzukommen. Trotzdem habe ich diesen Monat einiges erlebt, was ich gerne mit dir teilen möchte!

Für eine Reise ans "Mar de la Plata" sammelte Helios zusammen mit den
anderen Geographiestudenten Spenden, indem sie selbst gemachte
Empanadas (gefüllte Teigtaschen) im Innenhof der Uni machten. 

Wie schnell muss man über die Matten rennen, ohne
dass man dabei runterfällt?

Zum einen wurde ich, seit ich in Argentinien angekommen bin, immer wieder darauf hingewiesen, wie typisch „Asado“ ist und dass ich unbedingt an einem teilnehmen sollte. „Asado“ kann man als Grillen verstehen, allerdings mit gutem argentinischen Fleisch. Der Großteil präferiert hier Rindfleisch, Schweinefleisch und Hähnchen bekommt man seltener zu Gesicht. Diesen Monat hatte ich dreimal die Möglichkeit Asado zu essen. Ich muss gestehen, dass mir die Atmosphäre an sich besser gefiel als das Essen selbst. Mir kommt es so vor, als würde man in Deutschland bei der Vorbereitung eines Grillabends den Fokus genauso auf Salate bzw. allgemein Beilagen legen wie auf das Fleisch selbst. In Argentinien bekommt das Fleisch einen größeren Stellenwert und leckere, aufgebackene Baguettes fehlen meiner Meinung nach. Der letzte Grillnachmittag, an dem ich teilnahm, war in der „semana de estudiantes“ Woche der Studenten, die wir frei hatten, um uns für die Prüfungen vorbereiten zu können. Vorher fand ein Schwimm-Treff statt, wo verschiedene Mannschaften in unterschiedlichen Spielen im Wasser gegeneinander antraten.
Eins davon war Basketball im Wasser, wo mein Team gewann. In den restlichen Kategorien waren wir weniger geschickt und mussten als Strafe einen Tanz (wo wir uns bewegen mussten, wie ein Spaghetti) am Beckenrand aufführen. Insgesamt war es ein wirklich lustiger Tag, allerdings musste ich gefühlt hundertmal beantworten, was ich studiere, wo ich herkomme, wo ich unterkomme und warum ich nach Argentinien gekommen bin. Da fühlte ich mich an die Zeit, als Suki noch ein Welpe war zurückerinnert, weil ich mir da auch immer wieder die gleichen Fragen anhören konnte und dabei auch der Versuchung widerstehen musste, ein Visitenkärtchen anzufertigen.
Im Garten
Den Rest der Lern-Woche versuchte ich mir so schön wie es eben ging zu gestalten. Da die Tage nun immer schöner werden und es draußen teilweise sogar wärmer als im Haus ist, nutzte ich die Möglichkeit viel draußen zu lernen, oftmals in Gesellschaft von Bekannten. Das traditionelle Mate-Trinken durfte nicht fehlen und half uns unter zu bleiben. Was ich besonders schnell gelernt habe, sind alle möglichen Schimpfwörter auf argentinischem Spanisch. Hier ist es normal sich am laufenden Band zu beschimpfen, insofern man sich gut versteht. Wenn man danach geht, gibt es also inzwischen schon zwei Personen, mit denen ich befreundet bin, weil ich es mir erlauben kann sie zu beleidigen, ohne dass es sie stört. Das ist eine ganz schöne Umstellung, weil man sowas in Deutschland nie tun würde!



Diesen Monat hatte ich die Chance an einen See, der sich Chocón nennt, zu fahren. Es war ein sehr schöner Trip. Julieta, eine Freundin aus der Uni, hat Verwandte, die sich ein Haus am See bauen lassen. Momentan ist bis auf ihr halbfertiges Haus noch nicht viel (wenn man den bereits grünen Fußballplatz außer Acht lässt) in dem Gebiet, wo bald ein riesiges geschlossenes Ferienhausviertel entstehen wird. Momentan ist alles noch karg und man kann sich nur schwer vorstellen, dass das in der Wüstenlandschaft aufgebaut werden soll. Als wir an den Ufern des künstlichen Sees langliefen, wurde mir bewusst, was für ein archäologisch wertvolles Gebiet diese Region ist. Hier wurde das bisher älteste Dinosaurierskelett der Welt entdeckt. Auch wir haben uns gefühlt wie Archäologen, als wir Fossilien von versteinerten Baumstämmen fanden. 




Der See Chocón ist für sein Wasserkraftwerk bekannt, dessen gewonnene Energie bis nach Buenos Aires transportiert wird. Mir wurde erzählt, dass es in Buenos Aires wegen des niedrigen Wasserstands im Sommer häufig zu Stromausfällen kommt. Das scheint aber nicht das einzige Problem bei der Energieversorgung zu sein, denn in meinem Stadtviertel fiel in letzter Zeit gleich zweimal das Licht aus. Gestern traf mich das Glück, als ich beim Schwimmtraining war und gerade gemütlich meine Bahnen schwamm. Das Training wurde abgesagt und es gelang mir gerade noch rechtzeitig meine Schuhe vor der Überflutung der Umkleide retten. Zum Glück ging alles gut und ich konnte in Badelatschen im strömenden Regen nach Hause laufen, ohne bedeutend nasser als vorher zu werden. 

Mittlerweile wurde ich bereits auf zwei Geburtstagsfeiern eingeladen. Glücklicherweise ist es hier genauso üblich Torte zu essen, wie in Deutschland.
Maxi's Geburtstagstorte


Dieses Bild wurde kurz vor 24 Uhr gemacht. Mein Bauch hat sich ganz schön beschwert!!!


Die Pizzen hier werden anders
zubereitet: Zuerst wird der Teig
zusammen mit ganz wenig Toma-
tensoße in den Ofen geschoben,
danach kommt Käse darauf und
dann die restlichen Zutaten.
Ein kulinarischer Kulturschock!
Auch das Kerzenauspusten gehört normalerweise dazu (auch wenn die Kerze fehlte und durch ein brennendes Streichholz ersetzt wurde, weshalb wir umso schneller singen mussten) und musste zweimal stattfinden, weil das erste Mal keine Fotos gemacht wurden. Ich muss mich immer noch an die späten Zeiten fürs Abendbrot gewöhnen, da ich gefühlt schon dreimal einen Hungertod erlebte, als wir endlich um halb eins nachts die Pizzen servierten. Zu meinem Repertoire an Kartenspielen kommen folgende Spiele hinzu: truco (bei dem ich bis zum Ende dachte, dass wir am verlieren sind, aber mein Team in Wirklichkeit am Gewinnen war und ich die ganze Zeit dachte im gegnerischen Team zu spielen, als die Punkte aufgeschrieben wurden), Chancho (ein sehr gewalttätiges Spiel, bei dem alle auf einmal mit ihren Händen in die Mitte des Tisches schlagen müssen – ein Glück, dass ich meistens dank meiner langsamen Reaktionszeit vor blauen Flecken geschützt wurde) und Uno (allerdings mit einigen chaotischen neuen Regeln).

Dank dieser tollen Erlebnisse fühle ich mich so langsam wie zu Hause. Allmählich habe ich das Gefühl Leute zu kennen, mit denen ich öfter was mache.