Samstag, 17. Dezember 2016

Hoch hinaus

See in der Bergkette La Atravesada auf rund 2000m über dem Meeresspiegel

Während der letzten Woche wurde mir bewusst, wie wichtig es ist Kontakte zu haben. Für meine ganzen organisatorischen Sachen brauchte ich eine Beglaubigung einer Kopie und einer Unterschrift einer Polizeistelle, eines Amts oder eines Notars. Weil sich alle öffentlichen Einrichtungen quer stellten und meinten, dass sie dafür nicht zuständig seien, suchte ich einen Notar auf, der mir
einen äußerst hohen Preis verlangte. Als ich zurück zur Polizeistelle ging, um noch ein paar Sachen wegen eines Führungszeugnisses zu klären, sprach ich mit einem Polizisten über mein Problem. Dieser rief eine Freundin an, die Notarin war und ihm noch einen Gefallen schuldete. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass ich wieder genau in der gleichen Kanzlei landen würde, wie die, wo ich erst ein paar Tage zuvor ein halbes Vermögen bezahlt hätte. Durch den Kontakt ging das plötzlich alles ganz unkompliziert und reibungslos von der Bühne und noch dazu ohne am Ende etwas zu bezahlen.



Suchbild
Der Samstag vor zwei Wochen war ein enorm anstrengender Tag, 23 Stunden kein Schlaf. Mit der Trainingsgruppe Cumbre, die damals mit Nico und mir zum See Chocón gefahren ist, hab ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Berggipfel bestiegen. Noch vor halb acht morgens traten wir die Tour mit dem Auto in Richtung La Atravesada an und versammelten uns am Fuß des Berges. Ich hatte das Glück im Van mitzufahren, der für den unebenen Weg wesentlich geeigneter war, als der Rest der Autos, die ihm folgten. So blieb ein Auto hinter uns in einer Senke hängen, alle mussten aussteigen und schieben helfen. Bei dem durchtrainierten Team war das kein Problem und ruck zuck konnte es weitergehen (jetzt waren alle etwas wachsamer und es gab keine weiteren Vorfälle). Nachdem wir die halbe Strecke bewältigt hatten, kamen wir an einen in den Bergen gelegenen See mit dunkelblauem, trinkbaren Wasser. Während der weiteren Tour baute ich mein Vokabular etwas aus: Ich sah Mauereidechsen, Heuschrecken (Aber was für komische!! Die sahen aus wie Frösche) und Grillen.

















Auf der Erhöhung über 2500m über dem Meeresspiegel, breiteten sich die ewigen Weiten der prärieähnlichen Landschaft auf der einen Seite des Berges aus. Auf der anderen Seite erstreckte sich eine Kette von noch schneebedeckten Kuppen der Gebirgsketten der Anden. Um diese schöne Aussicht bestaunen zu können, mussten wir bis zum höchsten Punkt des Berges einen steilen, steinigen und erschöpfenden Anstieg bewältigen. Das war nicht ganz ungefährlich, weil man seine Aufmerksamkeit überall haben musste, um nicht von einem losgetretenen Stein, von einem Gruppenmitglied weiter oben, aus dem Gleichgewicht oder gar erschlagen zu werden. Meine Schuhe, die mich schon auf die japanischen Alpen begleitet haben, zählen jetzt ihre letzten Tage, denn bald muss ich mir wohl oder übel neue kaufen (unglaublich, wie teuer Sportschuhe hier sind). Nach einem schönen, aber an unseren Kräften zehrendem Aufmarsch, gönnten wir uns auf halbem Weg des Abstiegs eine ausgiebige Picknickpause.




Als wäre der Tag nicht schon anstrengend genug gewesen, war ich abends auf die Geburtstagsfeier von Caro (der Cousine meiner Kommilitonin Julieta) eingeladen. Im Garten war ein niedlicher Tisch mit Lampions und hübscher Dekoration aufgebaut. Alles sah richtig märchenhaft aus!

Eins der Themen, die wir später ansprachen, passte so gar nicht zu diesem gemütlichen Ambiente: In der Nähe des Flusses brach gestern offenbar ein Bandenkrieg zwischen Teenagern aus, bei dem die Polizei dazwischen gehen musste. Allerdings wurde die Pistole eines Polizisten geklaut und es waren mehrere Schreie zu hören. Kaum vorstellbar, dass es in meiner Nähe am helllichten Tag, an einem Ort, wo sich viele Familien tagsüber versammeln, gefährlich sein kann. Bis jetzt dachte ich eigentlich, dass Neuquen zu den sicheren Städten zählt...

Meine Gastmutter Andrea, Gastschwester Martina und Beto im Garten

Mein Gasthaustier. Die Schildkröte Flash! Tadaaaaa
Die beste argentinische Picada bisher bei Beto und Familie
Zum Glück habe ich bisher keine heiklen Situationen erlebt und das, obwohl ich immer relativ naiv und gutgläubig unterwegs bin. Weder beim Trampen bei Anhalter durch die Stadt, noch bei fast unbekannten Leuten zu Gast, habe ich schlechte Erfahrungen gehabt. Da mein Mietvertrag ausgelaufen war, musste ich mir kurzfristig eine neue Unterkunft suchen. Auf dem Bergsteigertreffen traf ich Beto, einen Familienvater, der mir sofort anbot, bei ihm und seiner Familie für eine Woche einzuziehen. Beto und seine Familie adoptierten mich also kurzerhand und ich fühlte mich vom ersten Moment an wohl. Sie überließen mir das Zimmer der ältesten Tochter Violeta, die bis vor kurzem in Europa lebte und nun nach Argentinien zurückkehrte. Mit meiner neuen Familie lernte noch mehr Leute kennen, da sie mich auf viele Treffen mit Freunden oder Verwandten einluden. Fast jedes Mal gab es ein typisches argentinisches Asado (Grillen) und obwohl ich inzwischen ein großer Fan davon bin, ist das Maß nach 4x Asado innerhalb von ca. 2 Wochen doch voll.

Pflanzen im Garten




Viel Zeit habe ich außerdem mit den Chochos, meinem Freundeskreis vom Schwimmen verbracht. An einem Abend waren wir bei Zul, die einen Swimmingpool hatte. An einem anderen bei Rama, der uns zum Biertrinken einlud (nur leider, als wir bei ihm ankamen und zum Bierkaufen loszogen, hatten bereits alle Biergeschäfte geschlossen). Am Mittwoch feierten wir Frans Geburtstag am Fluss, was ein gemütliches Beisammensitzen, Kuchen, Trinken und Gitarre spielen bedeutete. 

Kaum hätte der letzte Donnerstag besser sein können, denn morgens habe ich zum ersten Mal Reitstunden genommen. Während ich zuerst einige kulturelle Kommunikationsprobleme mit dem Pferd hatte, habe ich am Ende meine Körpersprache auf argentinisches Reiten angepasst und es wusste, was ich ihm mitteilen wollte. Am gleichen Tag lernte ich den dritten und letzten künstlich angelegten See „Marimenuco“ kennen. Zusammen mit den Chochos und weiteren Leuten vom Schwimmen,
fuhren wir an den Strand, um einen entspannten Tag zu verbringen. Das Wetter mit fast wolkenlosem Himmel und ca. 40° war perfekt zum Baden. Ein Wunder, dass ich mich nicht verbrannt habe! Als wir an den Ufern der Bucht entlangwanderten, bemerkten wir, dass das Wasser seine türkisene Farbe Algen verdankte, die unter der Wasseroberfläche die Felswand bepelzten. Wie sie so langsam und ruhig hin und her schwelgten, sahen sie aus wie ein riesiger, saftig grüner Teppich aus Plüsch. Sofort kamen wir auf die Idee miteinander zu rangeln und zu sehen, wer als erstes ausrutscht und ins Wasser fällt, während andere die Algen von der Wand abrupften um sich warfen. Und wie die Dinger, dann kleben blieben! Am Ende entzog sich keiner mehr dem Wasser und wir schwammen zum Strand zurück. Dieser Tag hat mir besonders gefallen.

Am See Marimenuco bei 40°C im Frühling!!!

Allgemein waren die letzten Tage, seitdem ich meine letzte Hausarbeit abgegeben hatte, ein Traum. Endlich sind alle Prüfungen bestanden.

Babykätzchen auf dem Reiterhof
Ich war dreimal Reiten, viel am Fluss und das Wetter war super. Ich fühle mich frei, weil der Pflichtteil bewältigt ich und ich nun endlich meine lang ersehnten Ferien beginnen kann. Mein erstes Busticket ist gebucht. Ab heute trete ich meine Reise an und verabschiede mich am nächsten Sonntag (25. Dezember) komplett von der Provinz Neuquén.






Freitag, 2. Dezember 2016

Hoch leben die Chochos!





Dass ich den letzten Blogeintrag verfasst habe ist nicht lange her und doch kommt es mir wie eine Ewigkeit vor. Über das verlängerte Wochenende ging‘s zum zweiten Mal in die Anden, allerdings diesmal eine andere Straße entlang. Ich reiste im Bus mit anderen Studenten, die auch zum Schwimmen gehen, der Großteil von ihnen jedoch an anderen Tagen.


Meine ersten Bekanntschaften
auf der Busfahrt.
Die Landschaft, die sich vor meinen Augen ausbreitete war einfach atemberaubend. Mit offenem Mund konnte ich meinen Blick vom Fenster nur zum Kartenspielen abwenden. Es war eine sehr gute Idee im Reisebus mitzufahren. Wir hatten viel Platz und es erlaubte mir ein paar neue Bekanntschaften zu machen. Kaum zu glauben, wie stark ein Wochenende eine Gruppe zusammenwachsen lassen kann. Mit meinen Karten-Spiel-Kameraden hatte ich eine Menge Spaß und inzwischen hört mein Handy dank unseres neuen Gruppenchats gar nicht mehr auf zu klingeln (man schaut eine Weile nicht drauf und schon hat man über 100 Nachrichten). Als wir mittags ankamen, klarte das Wetter auf. Gleich nach unserer kurzen Mittagspause im Hostel brachen wir zur ersten Rafting-Tour auf. 



Wir mussten uns in dem gigantischen Gewirr von Neoprenanzügen zurechtfinden und hoffen, dass wir einen einigermaßen passenden finden. Zuerst hatte ich einen ergattert, der mir viel zu weit war und beendete meine Suche nach einem Ersatz erfolgreich. Doch für die Neoprensocken war ich dadurch zu spät dran. Weiter ging es glücklich mit Schuhen, die ich bekam (da ich auf Spanisch die Betreuer nicht nach Socken, sondern nach Schuhen fragte). Das lies mir den Ruf einer Extrawurst für Ausländer zukommen (die Rettungsweste war nämlich auch neu), denn ich hatte vergleichsweise die qualitativ hochwertigsten Sachen ergattert.

Auf einem Stadtrundgang durch Alumine


Interessante Mülleimer, oder?

In der Halle bauten wir uns ein
großes Matratzenlager auf
Das Rafting an sich war ein Traum! Wir sind gemütlich auf einem Schlauchboot den Fluss Alumine herunter getrieben. Einige Stromschnellen waren auch dabei. Vom Boot aus hatten wir nochmal einen vollkommen anderen Blickwinkel auf die Landschaft. Ohne dass jemand (unfreiwillig) ins Wasser fiel, kamen wir heil an unserem Ziel an. Nach der Besichtigung unseres Schlafplatzes (einer Turnhalle, in der wir auf Matratzen auf dem Boden schliefen), einem Spaziergang durch das Dörfchen Alumine und abends einem leckeren Asado (Grillen) war ich überzeugt, dass dieser Tag so schnell nicht getoppt werden kann. 

Wir rutschten mit unseren Matratzen in der Halle umher, spielten Volleyball und gingen noch in eine Bar.

Ich übe weiterhin Gitarre!
Hoffentlich kann ich auch ein paar
argentinische Lieder spielen, wenn ich
zurückkomme...

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mich mein Leben immer eines Besseren belehren will. Es ist fast so, als würden mir meine Erfahrungen mitteilen: „Du bist von etwas überzeugt? Gleich passiert etwas, was eben diese Überzeugung widerlegt.“ Denn am nächsten Tag war das Rafting noch viel lustiger. 


Auf dem Weg tanzten wir ausgelassen mit guter lateinamerikanischer Musik im Bus. So verging die etwas längere Fahrt zum nächsten Rafting-Ziel wie im Flug. Diesmal kamen weniger Leute mit, es gab heftigere Stromschnellen, man musste sich mehr anstrengen und die Landschaft war noch toller anzusehen. Hier tauchte allmählich unser Teamgeist auf, indem wir einen Gruppennamen fanden: Die Chochos. 






Chocho
 Chocho ist eine in den Anden heimische Pflanze, die lila und rosa die Flussufer schmückte. Die Tour war diesmal wirklich anstrengend und recht gefährlich, da zwei Chochos ins Wasser fielen. Das ist bei den vielen Steinen und der Strömung, die das Boot stark beschleunigte nicht zu unterschätzen. Zum Glück ging bis auf ein paar blaue Flecke alles gut.




Ziemlich erschöpft fuhren wir zum Hostel, wo wir uns den Rest des Tages ausruhten bzw. ich mich an der Kletterwand versuchte. Zum Abendbrot wurden wir mit leckerer Pizza verwöhnt.




In Neuquen habe ich Glück, wenn ich ein paar Sterne entdecken kann. Als ich mich jedoch in Alumine von den anderen abseilte und mich an den Fluss, der direkt neben dem Hostel entlanglief, setzte, konnte ich meinen Augen kaum trauen: Vor mir breitete sich ein unendlicher Sternenhimmel aus.


Als ich mich zurückgesellte, hatten die anderen mich schon vermisst, denn die gemeinsame Abendplanung stand fest. Es ging wieder in die Bar, doch diesmal rückten wir die Tische zur Seite und fingen an zu Tanzen. Bisher bin ich in Argentinien nie wirklich zum Tanzen ausgegangen, doch an dem Abend ließen wir es krachen. Ich hatte kein Problem mich ausgelassen zu bewegen, weil wir fast die einzigen waren, die in die Bar gingen. Die Stimmung war richtig gut und ich bekam Komplimente dafür, dass ich gut tanzen kann (was mich sehr überraschte, denn bisher dachte ich immer, dass Argentinierinnen viel besser tanzen könnten).


Puppenspiel in der Grundschule für Mapuche




Der nächste Tag (Montag, ein Feiertag) war etwas ruhiger (bloß gut, denn Schlaf habe ich die letzten Tage kaum bekommen). Viele des Teams nahmen an einer Spendenaktion für Spielzeug an einer Schule einer Mapuche Gemeinschaft teil. Wir fuhren in die Schule und einige führten ein Puppentheater für die Kinder auf. Zusätzlich bekamen die kleinen zu ihrem Geschenk noch Süßigkeiten. Es ist schön zu sehen, dass es Leute gibt, die etwas für die Mapuche tun und nicht nur Leute, die gegen sie reden. Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Hostel ging es leider auch schon zurück in das „Alltagsleben“ und wir fuhren nach Neuquen zurück. Stressig wird es, weil ich zwei Prüfungen nächste Woche schreibe und danach noch eine Hausarbeit auf Spanisch verfassen muss.